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Rumänien-Blog


Die Zeichnung als Tanz: Geta Brătescu

Geta Brătescu (1926–2018) wurde 92 Jahre alt und zählt zu den wichtigsten bildenden Künstlerinnen Rumäniens. Sie gilt als eine herausragende Vertreterin der Konzeptkunst und der künstlerischen Avantgarde Osteuropas. Erst in hohem Alter wurde sie weltweit wiederentdeckt. So war zu ihrem 90. Geburtstag eine große Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle zu sehen, ein Jahr später war sie zugleich auf zwei Weltkunstausstellungen vertreten.

Fading Borders lautete der Titel des rumänischen Beitrags zur 17. Internationalen Architekturbiennale in Venedig, die wir im Oktober 2021 per Blog besuchten. 2017 bespielte dort die 91-jährige Geta Brătescu den rumänischen Pavillon der 57. Internationalen Kunstausstellung, La Biennale di Venezia. Zeitgleich waren ihre Werke auf der documenta 14 in Kassel zu sehen. Geboren wurde die Künstlerin 1926 in Ploiești in der Walachischen Tiefebene (rumänisch: Câmpia Română). Von 1945 bis 1949 studierte sie an der Universität in Bukarest Malerei sowie anschließend Literatur und Philosophie, wobei ihr die Kommunistische Partei den Studienabschluss verweigerte. Da ihre Eltern Apotheker waren, galt auch sie als Tochter dem System als zu bürgerlich. Die Mitgliedschaft in der Rumänischen Künstlervereinigung ab 1957 ermöglichte ihr Reisen in die damalige UdSSR, nach Polen und Ungarn. Geta Brătescu lebte seit Mitte der 1960er Jahre in Bukarest. 1969 bis 1971 konnte sie dort ihre Ausbildung am Institut der Schönen Künste Nicolae Grigorescu abschließen. Zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn – und etliche Jahrzehnte während dieser – war für die Kunst im kommunistischen Rumänien der Sozialistische Realismus Staatsdoktrin (Blog Juni 2023). Geta Brătescu arbeitete als Künstlerin hinter dem Eisernen Vorhang in einer repressiven Atmosphäre. Ihr Atelier in Bukarest war nicht nur ein Arbeitsraum, sondern ein Ort der geistigen und künstlerischen Freiheit und spielte als dieser immer wieder eine zentrale Rolle in ihrem Werk. In der Performance The Studio von 1978 wird jener Raum selbst zum Gegenstand ihrer Kunst, indem sie das Atelier mit ihrem eigenen Körper vermisst. Brătescu verwandelt in Kunst, was sie umgibt. Sie benutzt ihren Körper, gefundene Bilder und Muster, Papier, Stoff oder Worte, und arbeitet mit und in allen Medien wie Performance, Fotografie, Film, Objekt, Installation, Collage und Grafik – bis auf Malerei. Frauen malen nicht so gut, äußerte der deutsch-österreichische Künstler Georg Baselitz 2013 in einem Interview mit dem Spiegel. Geta Brătescu malte nicht und wollte das auch gar nicht. Die Malerei war das klassische Medium des Sozialistischen Realismus. Ihr gesamtes Werk ist stattdessen eigenwillig, avantgardistisch und kompromisslos. Es ging ihr nicht nur um die physische Präsenz ihrer Werke, sondern mehr um das konzeptuelle Denken. Die Linie, die Zeichnung sind wesentliche Elemente in ihrer Arbeit. Ich arbeite viel; ich tanze mit dem Filzstift auf dem Papier – eigentlich tanze ich mit mir selbst, wird sie anlässlich ihrer Ausstellung im Kunstmuseum Ravensburg 2023 zitiert. Sie tanzte nicht nur mit sich selbst, sondern erforschte sich in ihrer Kunst auch lebenslänglich selbst. Ein häufig verwendetes Motiv war das des Vogels, der die Selbstbefreiung als Künstlerin und Frau darstellte. Viele Frauen ihrer Generation mussten sehr lange auf ihren Ruhm warten. In einer Publikation zur documenta 2017 wird sie zitiert: Ich habe zu viel gearbeitet, ich arbeite immer noch nonstop. Das Atelier ist voll.

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