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Rumänien-Blog


Modern am Meer: Exkursion an die Küste

Dass Architektur Ausdruck politischer Verhältnisse und Manifestation der Machtphantasien oder realen Macht sowie des Kults um die eigene Person von Herrschern sein kann, zeigt sich in der Historie Bukarests (rumänisch: București) besonders ausgeprägt: von Ceaușescus Privatvilla über den kompletten Umbau der Innenstadt bis zur Hybris in Form des vorgeblichen Hauses des Volkes, des Palasts des Parlaments (rumänisch: Palatul Parlamentului) – Blogs Dezember 2021 und folgende.

Der rumänische Architekt Aron Solari Grimberg hatte Nicolae Ceaușescus Bonzenvilla entworfen (Blog März 2023). Sein architektonisches Werk nur im Hinblick darauf zu sehen, wäre zu kurz gedacht. Die Union der rumänischen Architekten (rumänisch: Uniunea Arhitecților din România) zitiert ihn in einem Nachruf auf ihrer Facebook-Seite am 19. August 2019: ... möge ich niemandem Schaden zugefügt haben (meine alte persönliche Moral aus meiner Jugend) und möge ich einige positive Dinge hinterlassen haben, funktionale Gebäude mit einem gewissen architektonischen Wert! Auch an Rumäniens Schwarzmeerküste, über den Sommer 2019 per Blog bereist, stehen sie noch, die Villen der früheren politischen Eliten. Und die Luxusresidenzen der Geldeliten der Gegenwart. Olimp, Neptun, Jupiter, Venus und Saturn heißen die Badeorte, in denen beim Zoom auf Google Maps als erstes Kaufland, Penny und Lidl aufpoppen. Nach historischen Regionen Rumäniens sind wiederum etliche Hotels in Olimp benannt: Oltenia, Maramureș, Banat, Crișana, Transilvania, Muntenia, Moldova. Orte und Hotels liegen am Küstenabschnitt zwischen Eforie und Mangalia. Gemeinsamkeit der Ferienorte ist, dass sich dort architektonische Relikte der sozialistischen Moderne entdecken lassen, welche die Entstehung der touristischen Infrastruktur dort prägten. Dafür sind vor allem Aron Solari Grimberg und Cezar Lăzărescu verantwortlich. Letzterer leitete 1953 eine Gruppe junger Architekten, deren Auftrag es war, das Potenzial der Schwarzmeerküste für den Tourismus zu untersuchen. Ein gemeinsames Projekt der beiden war das 1957 gebaute Restaurant Neon, in Eforie Nord, das auf zwei Stockwerken mit Leichtigkeit und ohne überflüssigen Dekor ein kongeniales erstes Beispiel der sozialistischen Moderne darstellte. Leider ist heute nur mehr dessen Ruine zu sehen. 1965 wurde, ebenfalls in Eforie, das Hotel Europa nach den Plänen Lăzărescus gebaut. Vor zwanzig Jahren renoviert ist es noch heute in Betrieb. In Olimp konzipierte Grimberg Anfang der 1970er Jahre ein ganzes Ensemble aus den Hotels Amfiteatru, Panoramic und Belvedere, als einen Bogen, der Richtung Strand geöffnet ist. Fährt man digital im Google Street View Car vorbei, sieht man lediglich den Leerstand im September 2019, welcher doch sehr nach Ruine aussieht. 2020 wurde wiedereröffnet, auf aktuellen Fotos wirkt die Hotelanlage nun wie ein gestrandeter Kreuzfahrtriese. Besitzer Mohammad Murad hat inzwischen ein weiteres Gebäude mit Geschichte gepachtet, das er in einen Hotelkomplex umwandeln möchte: das ehemalige Doftana-Gefängnis. 1895 wurde es gebaut, kein Insasse ist jemals ausgebrochen. In den 1930er Jahren war dort auch Nicolae Ceausescu inhaftiert. Die sozialistische Moderne sollte die Utopien des Kommunismus in Architektur übersetzen. Die Hotels an der Schwarzmeerküste gehörten dazu, waren jedoch hauptsächlich ausländischen Touristen vorbehalten. Die Rumäninnen und Rumänen mussten draußen bleiben.

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