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Rumänien-Blog


Frei im Off: Bukarests freie Theaterszene

Was, wenn unabhängige Theater ganz real im Off verschwinden? Im letzten Blog standen vor allem die staatlichen Bühnen der Hauptstadt im Fokus. Zum Blick auf die Entwicklung der freien Theaterszene Bukarests gehört leider die Erkenntnis, dass es die innovativen Off-Theater in der Gegenwart mehr als schwer haben, teils um ihre Existenz kämpfen und einige bereits schließen mussten.

Der Begriff Off-Theater für freie, unabhängige Spielstätten und Akteure bezieht sich auf die aus den 1960er Jahren stammende Bezeichnung Off-Broadway. Letztere benennt die mittlere der drei großen Kategorien für Theater zwischen Broadway und Off-Off-Broadway in New York City. Freie Theatergruppen stellten sich damals gegen die marktbeherrschenden, großen Theaterproduzenten. In den meisten europäischen Ländern entwickelte sich eine freie Theaterszene weitaus früher als in Rumänien. In Bukarest begann es mit dem Teatrul Act in der Calea Victoriei, wo auch das etablierte Odeon-Theater (rumänisch: Teatrul Odeon) zu finden ist (Blog Juli 2022). Im Gegensatz zum Odeon, das in einem 1911 erbauten Gebäude des ehemaligen Bukarester Nationaltheaters residiert, spielt das Act seit seiner Gründung 1998 im Keller. Die Revolution von 1989 und das Ende der Diktatur führten nicht zeitgleich zu revolutionären kulturellen Neuerungen. Die Kommunikation zwischen den Menschen auf und vor der Bühne war aufgrund des grundlegenden Umbruchs jedoch nicht mehr die gleiche wie zuvor. Man musste sich neu finden, das Theater neu erfinden. Ein Prozess, der Zeit brauchte. Zunächst kehrten Regisseure wie Andrei Serban oder Alexander Hausvater aus dem Exil zurück und setzten innovative Impulse. Bis zur Gründung des Off-Theaters Teatrul Act 1998 gab es in ganz Rumänien kein einziges freies Theater. Das Act leistete echte Pionierarbeit: Vom Staat unabhängig, mit freischaffenden Schauspielern und Regisseuren wurde eine völlig neue Form des Theaters geschaffen. Eine junge Generation inszenierte zeitgenössische Themen, setzte sich mit der rumänischen Realität auseinander, brachte gesellschaftspolitische Brisanz auf die Bühne. 2002 entwickelte sich von der Nationalen Universität für Theater und Film (rumänisch: Universitatea Națională de Artă Teatrală şi Cinematografică) in Bukarest aus die DramAcum Bewegung (deutsch: in etwa Drama jetzt). Progressive junge Dramatiker wurden entdeckt, darunter Peca Stefan, der in seinem Stück Rumänien 21 die moralische Korruption einer Familie während des Kommunismus und danach in Szene setzt. Eine weitere wichtige Autorin ist Alina Nelega mit ihrem Stück Amalia atmet tief, für das sie 2007 den europäischen Autorenpreis erhielt. Obschon das Teatrul Act über Jahrzehnte Pionierarbeit geleistet hat, ist der Spielbetrieb aktuell eingestellt, wie über die Theaterwebsite zu erfahren ist. Nu există spectacole programate (deutsch: Es gibt keine Aufführungen) ist unter Program zu lesen. Weiterhin wird um finanzielle Unterstützung des ersten unabhängigen Theaters mit eigenem Saal in Rumänien, das seit 1998 ausschließlich dank der Beiträge der Zivilgesellschaft und von Sponsoren tätig ist gebeten. Die Informationen deuten an, dass finanzielle Probleme für die gegenwärtige Situation verantwortlich sind und man versucht, diese zu überwinden. So kommuniziert das legendäre, erste Off-Theater Bukarests momentan nicht von der Bühne aus, sondern aus dem Off, dem unsichtbaren Bereich dahinter. Bleibt zu hoffen, dass es nicht dauerhaft von der Bildfläche verschwindet.

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