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Rumänien-Blog


Vom Haus des Volkes zur Kathedrale seiner Erlösung

Als Casa Poporului, als Haus des Volkes, hatte Nicolae Ceauşescu Mitte der 1980er Jahre die bauliche Manifestation seiner Macht bezeichnet. Kathedrale der Erlösung des rumänischen Volkes (rumänisch: Catedrala Mântuirii Neamului Românesc) nennt die Rumänisch-Orthodoxe Kirche ihr seit 2010 im Bau befindliches Großprojekt, dessen Kosten bis 2018 bereits 110 Millionen betrugen. Im millionenschweren Gebäude schwingt die größte freischwingende Glocke der Welt, die damit die Petersglocke des Kölner Doms auf Platz zwei im Ranking verschiebt.

Viele Rumänen und Rumäninnen bezeichneten ihr Haus nicht wie ihr Diktator als das des Volkes, sondern als das des Sieges über dieses (Blogbeitrag Januar 2022). Auch zur Kathedrale, die namentlich zu seiner Erlösung führen soll, ist bereits ein Fall von Umbenennung aktenkundig: Catedrala Prostirii Neamului Românesc (deutsch: Kathedrale der Dummheit der rumänischen Nation) war auf der interaktiven Landkarte Google Maps zu lesen. Dies war zwar nur für kurze Zeit der Fall, jedoch lange genug, um sowohl die Kirche als auch Rumäniens Nationalen Antidiskriminierungsrat (rumänisch: Consiliul Național pentru Combaterea Discriminării – CNCD) auf den Plan zu rufen. Letzterer verurteilte Google Rumänien wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 2000 Euro. Der Konzern wiederum argumentierte bezüglich nutzergenerierter Inhalte, diese sollten die reale Welt widerspiegeln. Auf jeden Fall spiegelt die Angelegenheit die Kontroverse um das finanzielle Megaprojekt, denn etwa 75 % des Budgets trägt der Staat. Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche (ROK) – Patriarchat von Rumänien (rumänisch: Biserica Ortodoxă Română (BOR)) ist hinsichtlich ihrer Mitgliederzahlen die zweitgrößte orthodoxe Kirche der Welt. Mehr als 85 % der Rumänen und Rumäninnen gehören ihr an, vor allem in ländlichen Gebieten ist die Verwobenheit von Staat und Kirche bis heute stark ausgeprägt. Letztere ist streng autoritär strukturiert und konservativ orientiert – und ist bekannt für ihre beständige Nähe zu den jeweiligen Machthabern. So stand sie beim Sturz Ceauşescus nicht an der Seite des unterdrückten Volkes. Der damalige Patriarch Teoctist, Ideengeber der Kathedrale, hatte stattdessen eine Loyalitätserklärung für den Machthaber abgegeben. Zwar musste er sich in der Folge aus seinem Amt zurückziehen, kehrte jedoch relativ zeitnah in dieses zurück, um dann an der Seite der postkommunistischen Regierung zu stehen. Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche verfügt über einen immensen Reichtum, den sie im Lauf der Geschichte größtenteils aus beschlagnahmtem Besitz anderer Kirchen generierte. Laut rumänischer Medienberichte bewegen sich ihre aktuellen finanziellen Mittel um die 3 Milliarden Euro, jährliche Einnahmen um die 90 Millionen Euro. Darüber hinaus gehört sie zu den größten Grundeigentümern Rumäniens und besitzt neben zahlreichen Waldflächen und Grundstücken auch Hotels, Transportunternehmen und Medienfirmen. Das Unternehmen ROK verfügt damit über immense wirtschaftliche Potenz und Macht. Dass es keine Steuern zahlt und das Projekt Kathedrale aus eigenen Mitteln umsetzen könnte, welches zum überwiegenden Teil aus öffentlichen Geldern finanziert wird, stößt zumindest bei einem Teil der Bevölkerung auf Kritik. Architektonisch projektierte das Patriarchat den Großbau jedoch selbst. Den beteiligten Architekten gestand man nur minimale Eingriffe zu. Wie schon beim benachbarten Palast des Parlaments gilt auch hier: size matters.

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