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Rumänien-Blog


Vom Haus des Volkes zum Palast des Parlaments

Wie ist mit steingewordenen Machtfantasien autokratischer Herrscher umzugehen, nachdem diese ihre Macht verloren haben? Eine komplexe Frage, die in der Gegenwart vielerorts intensiv – und oftmals stark zeitverzögert – diskutiert wird. In Deutschland betrifft dies vor allem die Architektur des Nationalsozialismus. Die aktuelle Debatte über einen adäquaten Umgang mit dem Nürnberger Reichstagsgelände gehört dazu. In Bukarest begann die Diskussion um Ceaușescus Haus des Volkes nach der Rumänischen Revolution zu Beginn der 1990er Jahre.

Abreißen oder erhalten? Ein Ja zum Erhalt von Herrschaftsarchitektur generiert zwangsläufig weitere Fragestellungen. Um Ceaușescus Koloss entbrannten Diskussionen über dessen Zukunft jenseits der Sprengung. Zu den Ideen sollen auch die Nutzung als Casino, Börse oder Bordell gehört haben. 1991 entschied die rumänische Regierung zunächst gegen einen Abriss des noch unvollendeten Baus und für dessen Umbenennung: Aus dem vorgeblichen Haus des Volkes wurde der Palast des Parlamentes (rumänisch: Palatul Parlamentului) und dieser sollte zunächst einmal fertig gebaut werden. Dafür holte man sich 1993 des Diktators Hofarchitektin Anca Petrescu zurück, die sich die Baupause mit lukrativen Aufträgen im Ausland versüßt hatte und sich nun wieder ihrer Lebensaufgabe widmen konnte. Petrescu bezeichnete sich selbst als unpolitisch und wollte nach eigenen Aussagen verhindern, dass das Haus durch andere verpfuscht würde, was sie 2004 veranlasste, in die Politik zu gehen – und dies für die ultranationalistische Partidul România Mare (deutsch: Großrumänienpartei). Da der Palast ab 1997 als Sitz der Rumänischen Abgeordnetenkammer – und ab 2005 auch als Sitz des Senats – fungierte, saß die Architektin bis 2008 als vorgeblich unpolitische Abgeordnete in ihrem Bauwerk. 2008 fand im ebenso dort beheimateten Internationalen Konferenzzentrum die Parlamentarische Versammlung der NATO statt. Die verschiedenen Nutzer belegen jedoch gesamt nur einen Teil des riesigen Gebäudes. Zahlreiche Räume, die niemand zu sehen bekommt oder betreten darf, sind ungenutzt. Die Touristen werden durch hunderte Meter lange Galerien in die so riesigen wie opulenten Repräsentationsräume geschleust. 2001 wurde der Palast zum temporären Vatikan. Costa-Gavras drehte dort Szenen seines Filmdramas Der Stellvertreter (Originaltitel: Amen). Als Relikt der Dreharbeiten ist heute noch ein religiöses Treppengemälde zu sehen. Vom Palastbalkon aus erschließt sich dem Blick der kilometerlange, auf diesen ausgerichtete Bulevardul Unirii (deutsch: Boulevard der Einheit). Ceausescu kam nicht mehr dazu, diesen Blick zu genießen und zu den Massen zu sprechen. Feiern ließ sich dort der King of Pop, Michael Jackson. Auf seiner Tour 1992 winkte er vom Balkon den Fans zu – und begrüßte diese angeblich mit Hello Budapest! 2004 verlegte das Muzeul Național de Artă Contemporană al României, das Nationale Museum für Gegenwartskunst, seinen Hauptsitz in den Parlamentspalast. Der für die Architektur im Inneren verantwortliche Architekt Adrian Spirescu begegnete dem Bombast des umhüllenden Gebäudes mit einer klaren Formensprache, was von Petrescu und ihren nationalistischen Parteifreunden selbstredend kritisiert wurde. Auf der Website des Museums bezieht die Museumsleitung Stellung zum kontrovers diskutierten Standort im Palast: This solution, so spatially generous, has also been regarded, on the other hand, as a chance at a historical “exorcism” through acceptance.

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